Jugendwerkstattpfarrerin für öffentlich geförderte Beschäftigung
Was ungerecht ist
EKHNAnette Bill ist Pfarrerin der Jugendwerkstatt Gießen17.03.2017 mhart Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Seitdem die SPD ihren Kanzlerkandidaten präsentiert hat, ist die Diskussion um Soziale Gerechtigkeit neu entfacht. Vorgeschlagen sind etwa die Verlängerung des Arbeitslosengelds I und Qualifizierungsangebote.
Für Pfarrerin Bill geht das in die richtige Richtung, aber nicht weit genug. „Die Ideen greifen noch zu kurz. Denn es lässt die fast eine Million Langzeitarbeitslosen außer Acht. Da müssen noch viele bürokratische Einschränkungen überwunden werden, damit Menschen ganz individuell gefördert werden können.“ Den Vorschlag der Evangelischen Diakonie nach „öffentlich geförderter Beschäftigung“ unterstützt sie deshalb ausdrücklich.
Wenn alleinerziehend zum Vermittlungshindernis wird
Anette Bill erzählt aus der Praxis der Jugendwerkstatt in der Gießener Weststadt. „Wir haben Menschen, die meistens nicht ohne Eingliederungshilfen in Arbeitsmarkt integrierbar sind. Weil sie keine Ausbildung oder auch keinen Schulabschluss haben, weil sie gesundheitlich nicht voll belastbar sind oder weil sie allein erziehend sind, weil Deutsch nicht Ihre Muttersprache ist, weil sie als zu alt gelten oder weil sie schlichtweg schon zu lange Zeit arbeitssuchend sind.“ Vermittlungshindernisse. So heißt das im Amtsdeutsch.
Wer in der Jugendwerkstatt gefördert oder qualifiziert wird, gehört zu den vergleichsweise Glücklichen. Denn nur knapp jeder zehnte Langzeitarbeitslose kommt in den Genuss einer Eingliederungshilfe oder einer öffentlich geförderten Beschäftigung. Dabei geht es nicht nur um fachliche Bildung, sondern auch um Motivierung und Bewerbungstraining.
Arbeitslosigkeit macht krank und mutlos
„So viele Langzeitarbeitslose wollen nicht Zuhause sitzen, sie wollen teilnehmen am Arbeitsleben“, weiß Pfarrerin Bill. Sozial gerecht wäre es, wenn gerade diejenigen, die sich längst abgehängt fühlten, nicht aufgegeben würden. Für sie müsse es staatlich finanzierte sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsmaßnahmen geben. Gleichzeitig brauchen Menschen, die lange Zeit Arbeit suchen mehr Angebote zur beruflichen Qualifizierung. Denn Arbeitslosigkeit macht krank und mutlos. Und es belastet Familien.
Öffentlich geförderte Arbeit entlastet langfristig öffentliche Haushalte
Pfarrerin Bill spricht sich für öffentlich geförderte Beschäftigung aus. Unter dem Begriff „Soziale Teilhabe“ gibt es ein solches Programm mit dreijähriger Laufzeit für eine sehr kleine Zielgruppe bereits in der Jugendwerkstatt. „Die Entlohnung ist mehr als Hartz IV, vor allem aber vermittelt die Tätigkeit den Menschen einen Sinn und ermöglicht ihnen Teilhabe an der Gesellschaft“, schildert die Pfarrerin. „Wir brauchen soziale Beschäftigungsverhältnisse, die an die Menschen mit ihren Fähigkeiten angepasst werden.“
Die Finanzierung? Die erhöhten Kosten zahlen sich aus: Auf lange Sicht werden die öffentlichen Haushalte finanziell entlastet. Die Gesundheit der Betroffenen verbessert sich, die Gesellschaft profitiert durch die Arbeit für das Gemeinwohl, Kinder arbeitsloser Eltern bekommen mehr Chancen.
In der von der evangelischen Kirche und der Diakonie getragenen Jugendwerkstatt in der Gießener Weststadt arbeiten derzeit rund 200 Jugendliche, sowie Frauen und Männer in verschiedenen befristeten Maßnahmen zur Eingliederung oder in öffentlich geförderter Beschäftigung. Für sie gibt es ganz unterschiedliche Arbeitsfelder in der Holz- oder Metallwerkstatt, in der Küche, in der Textilwerkstatt, im Kaufhaus für gebrauchte Dinge oder im Transportwesen.
Um Menschen kümmern, die am Rand stehen
Das Geld für die konkreten Maßnahmen wird aus öffentlichen Mitteln finanziert. Außerdem kommen erhebliche Mittel und personelle Unterstützung von der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. „Unser Ziel ist es, die Menschen die lange arbeitslos sind, zurück zu holen und ihnen eine Perspektive zu geben. Damit niemand abgehängt wird. Jeder hat doch Fähigkeiten, die für die Gesellschaft nützlich sind.“ Sich um die Menschen zu kümmern, die am Rand der Gesellschaft stehen, das ist im Kern christlich, sagt Anette Bill. „Jesus hat nichts anderes gemacht.“
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