Klinikseelsorgerin Regina Pabst
Wertschätzung und Ermutigung am Krankenbett
HartmannRegina Pabst ist seit 30 Jahren Klinikseelsorgerin in der Uniklinik Gießen19.09.2019 mhart Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Dreißig Jahre. In diesem Zeitraum haben Medizin, Diagnostik und Therapie dramatische Fortschritte gemacht. Die Diagnose Krebs ist nicht zwangsläufig mehr ein Todesurteil. Wissenschaftler entschlüsselten das menschliche Genom. Feinste Veränderungen im Gehirn können heute aufgezeichnet und dargestellt werden. Nicht verändert jedoch haben sich die Urangst, die Not und die Hilflosigkeit von Menschen, die schwer erkranken und auf Heilung oder Erlösung vom Leid hoffen.
Verunsicherung Kranker ist heute größer
Davon kann Regina Pabst erzählen. Im September 1989 nahm sie im Uniklinikum in Gießen ihre Arbeit als Seelsorgerin auf. „Die Verunsicherung des Einzelnen ist sogar noch größer geworden, je weiter sich die Medizin und das Wissen über Krankheiten entwickelt haben.“ Heutzutage fühlten sich viele Patienten gezwungen, selbst Bescheid zu wissen. „Auch ich habe doch schon Dr. Google konsultiert“, räumt die Seelsorgerin mit einem Schmunzeln ein.
Im Klinikalltag fehlt Zeit für Gespräche
Grundlegend verändert hat sich auch das Gesundheitswesen. Letztlich führt der Zwang zur Wirtschaftlichkeit bei der Versorgung von Menschen dazu, dass für den Einzelnen und seine Sorgen weniger Zeit bleibt. Ärztinnen und Pflegepersonal haben zwar Gespür für die seelischen Nöte der Patienten, doch viel seltener den Spielraum, sich einfach an das Krankenbett zu setzen und zuzuhören. Regina Pabst erinnert sich, dass früher auch die Putzfrauen, die beim Austeilen des Essens halfen, offene Ohren und tröstende Worte für die Kranken hatten. Und so ist heute das Team der evangelischen wie auch der katholischen Klinikseelsorge stärker gefragt als vor 30 Jahren. Allein an der Zahl der Notrufe, die sie zu einem Patienten führen, kann die Seelsorgerin das ablesen.
Gemeindepädagogik und Predigtauftrag
In den späten siebziger Jahren studierte Regina Pabst Gemeindepädagogik, lernte ergänzend das Predigen und wurde befähigt, als Prädikantin evangelische Gottesdienste zu leiten. Als kleines Mädchen wünschte sie sich Pfarrerin zu werden, fand jedoch zu wenig weibliche Vorbilder in der Kirche, die ihr zum Theologiestudium hätten Mut machen können. Sie erhielt sogar den Rat, wolle sie als Frau in die Gemeinde, solle sie lieber einen Pfarrer heiraten. Was sie tat, doch aus ganz anderen Gründen.
Sehnsucht nach spiritueller Begleitung
Mag in den letzten dreißig Jahren die Zahl der Kirchenmitglieder kleiner geworden sein, der Wunsch und die Sehnsucht von Patienten nach christlicher, aber auch in weiterem Sinne spiritueller Begleitung nimmt nicht ab. „Ältere Menschen können mir gegenüber frei ihren Glauben bekennen und über Gott sprechen“, so die Seelsorgerin. Existenzielle Fragen und die Sehnsucht nach geistlicher Geborgenheit offenbaren aber auch junge Menschen in der Klinik. Einem kirchenfernen Patienten, an den sich Regina Pabst erinnert, war Beten zunächst völlig fremd. „Ich erzählte ihm einfach, mir hilft in der Angst zu beten, worauf er erwiderte, dann solle ich mal machen.“ Fortan betete sie regelmäßig mit ihm. Sie überfällt aber keinen mit einem Gebetsangebot. „Ich muss Anknüpfungspunkte finden.“
Wenig Intimsphäre in der Klinik
Ein Krankenhausaufenthalt zwingt Menschen zur Aufgabe ihrer Intimsphäre. Zwar versucht Regina Pabst unter vier Augen mit den Patienten zu sprechen, doch im Krankenhausalltag gelingt das nicht immer. Zwei-Bett-Zimmer seien aber nicht zwangsläufig ein Hemmschuh für seelsorgerliche Gespräche. In der extremen Situation der Krankheit und des Klinikaufenthaltes bildet sich mitunter eine erstaunliche Nähe zwischen Bettnachbarn. Manchmal stellt sich heraus, dass der oder die Bettnachbarin mindestens genauso viel Zuspruch braucht.
Weites Herz und offenes Ohr
Regina Pabst ist im Uniklinikum in rund 20 Stationen unterwegs. Entweder bitten Patienten um ein Gespräch oder das Pflegepersonal, für das sie auch Zeit, ein weites Herz und ein offenes Ohr mitbringt, macht sie auf Einzelne gezielt aufmerksam. Als gebürtige Gießenerin und nach den vielen Dienstjahren trifft sie dabei zahlreiche ihr bekannte Menschen. Nicht zuletzt spricht sie immer wieder mit Patienten, die wegen chronischer Leiden oder Mehrfacherkrankungen regelmäßig kommen.
Trauer im Krankenhaus
Trauer ist im Krankenhaus sehr präsent. In diesem Gefühlszustand spiegeln sich Kummer über Leid und Tod verwandter oder naher Menschen, die jetzt am Krankenbett fehlen, oder die Verzweiflung über die Einsamkeit und die Angst um sich selbst. Für die seelsorgerliche Arbeit ist das der Rahmen.„Menschen, die im Krankenhaus liegen, brauchen Wertschätzung, ihnen gebührt Anerkennung und Zeit, gehört zu werden. Nicht zuletzt verdienen sie es, dass ich ihnen glaube, wenn sie von ihrer Krankheit reden.“ Sich einfühlen, ermutigen und darin unterstützen, die eigenen Ressourcen zu entdecken, um die Gesundung zu unterstützen oder mindestens Linderung zu bewirken, so sieht Regina Pabst ihre Aufgabe.
Fotos oder Spieluhr
Manchmal reicht es schon, wahrzunehmen, was auf dem Nachttisch steht, ein Foto, ein Gegenstand, um darüber ein Gespräch zu beginnen. Regina Pabst gestaltet sehr gerne. Seit vielen Jahren schreibt sie Texte, Gebete und Gedichte, malt und fotografiert. Darin verarbeitet sie ihre Gefühle und Erfahrungen. Bei Besuchen am Krankenbett nimmt sie von ihr selbst hergestellte Fotokarten mit. Nach einem kurzen Gespräch spürt sie, wovon ihr Gegenüber angesprochen sein könnte und bietet ihm oder ihr eine kleine Auswahl aus den Bildern an. Oft erlebt sie, dass die Kranken sich in den auf die Rückseite gedruckten Texten wiederfinden oder geborgen fühlen. Wo ein Gespräch nicht möglich ist, etwa im Kontakt mit schwachen oder dementen Menschen, nimmt sie eine Spieluhr oder große Bilder mit. Sie fühlt es, wenn diese sinnlichen Eindrücke die Patienten im Inneren bewegen.
"Was ist mir im Leben noch wichtig?"
Mit leidenden, auch sterbenskranken Menschen umgehen, verändert und bereichert mich, sagt sie. Krankheit und Tod konfrontieren sie selbst mit der Frage: Was ist mir im Leben - noch - wichtig? Routine im Umgang mit Not und Angst stellt sich aber auch nach dreißig Jahren nicht ein. „Es gibt natürlich wiederkehrende Fragen, die mich aber nicht dazu verleiten dürfen, nicht mehr genau hinzuhören, denn jeder Mensch hat seine ganz eigene Geschichte.“ Regina Pabst sagt, sie müsse täglich „ausbalancieren“: Den Menschen ganz zugewandt sein und ihr Leid wahrnehmen, aber zugleich Abstand zu halten. Und so nimmt sie bis heute Unruhe in sich wahr, wenn ein Notruf sie an ein Krankenbett führt. Aber sie lässt sich - und das ist sicher der Ertrag von dreißig Jahren Seelsorgepraxis - nicht aus der Ruhe bringen.
Am Sonntag, 22. September, 10 Uhr, wird im Gottesdienst in der Kapelle des Uniklinikums das 30-jährige Dienstjubiläum von Regina Pabst gewürdigt.
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