Deutsche Einheit
Was hoffen wir?
privat/Montage: HartmannPfarrer Ost-West. Ramón Seliger (Weimar) und Johannes Lohscheidt (Gießen)30.09.2020 mhart Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Pfarrer Ramón Seliger
30 Jahre Deutsche Einheit. Ein Grund zu feiern - keine Frage! Und doch habe ich die Hoffnung, dass wir dieses 30. Jubiläum noch einmal anders feiern können: ehrlicher, aufmerksamer füreinander und ja, auch differenzierter. Es ist an der Zeit, neben all dem Jubel und den schönen Geschichten endlich auch die schwierigen Geschichten zu erzählen und zu hören. Sie erzählen von Hoffnung und Ent-Täuschung, von Heimatlosigkeit und Existenzängsten, von einer verlorenen Generation und der Erfahrung fremd im eigenen Land zu sein.
Lasst uns erzählen von den Brüchen im Leben und dass Deutsche Einheit so viel mehr meint als Wirtschaftskraft und Bruttoinlandsprodukt. Mehr Wahrheit wagen und die Geschichte von 30 Jahren Deutsche Einheit so erzählen, dass sich auch die Menschen im Osten in ihnen wiederfinden mit ihren Geschichten. Sonst werden diese Geschichten in den Händen der Falschen zu politischem Sprengstoff und gefährden das, wofür wir zu Recht dankbar sind.
Pfarrer Johannes Lohscheidt
Ich bin ein „Wessi“. Das habe ich als Student in Jena gelernt. Eine andere Stadt, nette Leute, eine neue Universität wollte ich kennenlernen. Doch zunächst stand eine Irritation. Als Kind der Achziger habe ich mich selbst nie als Westdeutsch verstanden – ich war Deutscher und die Einheit in meinen Augen vollendet. Das war sicher naiv und gleichzeitig ahne ich, dass es vielen Westdeutschen ähnlich gehen könnte. Der Diskurs in Ost und West hat eine Unwucht – das habe ich in Jena als erstes gelernt.
Ich schaue in die Zukunft. 30 Jahre deutsche Einheit, und doch scheint ein Land entzweizubrechen. Vielleicht auch an der mangelnden wechselseitigen Kenntnis Geschichten, die geschrieben wurden? Mir bleibt der Weg nach vorne ins Gespräch. Getragen werde ich dabei in der Hoffnung auf die Verheißung Gottes: Gott, der die Menschheit mit sich selbst versöhnt. Der nicht Ost noch West kennt, sondern grenzenlos an jedem fürsorgend handelt. Der Menschen Mauern überwinden lässt. Versöhnend.
Samstag, Tag der deutschen Einheit, 3. Oktober 2020, 10.00 Uhr Johanneskirche Gießen
„Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein?“
Gottesdienst in der Johanneskirche mit Professor Wolfgang Ratzmann aus Leipzig. Nachgespräch nach dem Gottesdienst ebenfalls in der Johanneskirche.
Auch in diesem Jahr feiert die Johannesgemeinde am 3. Oktober einen Gottesdienst, zum Dank für den Fall der Mauer und die Deutsche Einheit. Professor Wolfgang Ratzmann aus Leipzig wird die Predigt halten.
Geboren 1947 in einem sächsischen Pfarrhaus, entschied er sich für einen unangepassten Weg als Christ in der DDR. Als Schüler sang er im berühmten Dresdner Kreuzchor bei vielen geistlichen Werken mit. Nach Theologiestudium und Doktorarbeit wirkte er zunächst als Gemeindepfarrer in Plauen/Vogtland, bevor er als Studiendirektor ans Leipziger Predigerseminar und 1987 als Dozent für Praktische Theologie ans theologische Seminar Leipzig ging (einer vom damaligen Staat nicht anerkannten Kirchlichen Hochschule).
Nach dessen Zusammenlegung mit der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig 1992 wirkte er dort von 1992-2010 als Professor für Praktische Theologie. In den 1980er-Jahren wurde er Zeuge der friedlichen Proteste in Leipzig, die letztlich zum Fall der Mauer und zum Ende des SED-Regimes führten. Seit 2010 ist er im Ruhestand.
Digitaler Ost-West-Gottesdienst
Anlässlich des 30. Jahrestages der Wiedervereinigung Deutschlands am 3. Oktober feiert die Evangelische Marienstiftsgemeinde Lich mit der der Kirchengemeinde Walldorf in Thüringen einen gemeinsamen Gottesdienst über alle Grenzen hinweg. Die Feier wird am Samstag um 17 Uhr via Internet gleichzeitig in beiden Gemeinden stattfinden und die Orte miteinander verbinden. Im Mittelpunkt steht die Frage „Wie hat sich Ihr Leben durch die Deutsche Einheit verändert?“
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