Propst Matthias Schmidt tritt in die zweite Reihe zurück
HartmannDer Propst für Oberhessen, Matthias Schmidt, scheidet Ende Oktober 2022 aus dem Amt und wird Klinikseelsorger19.10.2022 mhart Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Kirchenfürsten kennen Protestanten nicht. Aber, „Obere“, wie sie gelegentlich genannt werden, gibt es schon; Pröpste beispielsweise. Und in einer basisorientierten Kirche machen die sich mitunter unbeliebt. Wenn sie etwa als Vertreter der Kirchenleitung für Reformen, sprich Reduzierungen, werben oder Vakanzen in Gemeinden rechtfertigen müssen, weiß der scheidende Propst für Oberhessen, Pfarrer Matthias Schmidt aus Gießen, zu berichten. Das aber ist nicht der Grund, nach zwölf Jahren, mitten in der Wahlperiode, aus dem Amt zu scheiden. Während der Corona-Pandemie habe er über einen persönlichen Neuanfang an eben jener kirchlichen Basis nachgedacht. Nun wird der 58-jährige Theologe einfacher Klinikseelsorger in einem katholischen Krankenhaus in Lahnstein und in einer Einrichtung für geistig Behinderte in Nassau.
"Propstamt ist starke Aufgabe"
Kräftezehrend ist das Propstamt. Das sagt Schmidt nicht, verdeutlicht es aber anhand der dienstlich gefahrenen Kilometer. Einmal rund um die Erde ist er mit dem PKW jährlich gefahren, um zwischen der Wetterau und dem Vogelsberg Gemeinden und Dekanate zu visitieren, in Konflikten zu vermitteln, Personalangelegenheiten in abendlichen Kirchenvorstandssitzungen zu regeln, sich mit den Dekan:innen zu besprechen, die EKHN zu repräsentieren oder an den monatlichen Kirchenleitungssitzungen in Darmstadt teilzunehmen. Gleichwohl ist das Propstamt eine „starke Aufgabe“, sagt er, weil ihm viel Gestaltungsspielraum und die Möglichkeit, Brücken zu bauen zwischen Leitung und Basis, innewohnen.
Den Imageverlust, nicht mehr eine Propstei mit rund 300.000 Kirchenmitgliedern zu repräsentieren, sondern Pfarrer im Dekanat Nassauer Land zu sein, hat er bedacht und ist damit zufrieden. „Selbst wenn ich dabei anders verdiene“, ergänzt er schmunzelnd. Auch um dem oder der Nachfolgerin nicht im Weg zu stehen, zieht er aus Gießen weg. „Das habe ich stets den Pfarrer:innen empfohlen, wenn ich sie in den Ruhestand verabschiedet habe.“
Nachfolger:in soll deutlich jünger sein
Der 1964 geborene Schmidt gehört zur Generation der Baby-Boomer, die derzeit noch an den Fäden in der Kirche ziehen. Seine Nachfolger:in soll deutlich jünger sein, wünscht er sich. Er beobachtet, wie selbstverständlich teamorientiert Jüngere arbeiten und wie unbefangen sie neue Konzepte für eine moderne, zeitgemäße Kirche entwerfen. „Sie stecken voller guter Ideen“ begeistert sich der scheidende Propst über die junge Theologen-Generation. Und neue Ansätze werden für den Reform- und Umgestaltungsprozess bis zum Jahr 2030 dringend benötigt.
Die zukünftige Kirche: Kleiner, frommer und politisch
Seine Vision von der zukünftigen Kirche fasst er in drei Punkten zusammen: kleiner, frommer und politisch. Schmidt zeichnet ein plakatives Bild. „Wir werden in Nachbarschaftsräumen Gottesdienste feiern, im Anschluss Mittagessen für Benachteiligte ausgeben und zugleich auf den Skandal weggeworfener Lebensmittel und der Notwendigkeit von Tafeln und dem immer noch maßlosen Konsum in unserer Gesellschaft hinweisen.“ Die evangelische Kirche in Oberhessen habe sich auch in den zurückliegenden Jahren immer als eine „öffentlich einmischende und begleitende Kirche“ verstanden.
Segnung gleichgeschlechtlicher Paare
Blickt er zurück fällt ihm ebenso ein, dass in den letzten zwölf Jahren die Segnung für gleichgeschlechtliche Paare in der EKHN und die Möglichkeit für Pfarrer:innen in solchen Partnerschaften offen zu leben, selbstverständlich wurden. Darauf, dass Kirchengemeinden Geflüchteten Kirchenasyl gewährt haben, um bei drohenden Abschiebungen juristische Mittel ausschöpfen zu können, ist er stolz. Und persönlich bereichert haben ihn Reisen in die Partnerkirche in Nordindien oder in den Libanon und Israel. Was in früheren Jahrzehnten oft Ausdruck paternalistischer Entwicklungshilfe gewesen sei, gestalte sich heute als ein wertvoller Lernprozess für die langsam zu einer Minderheit in Deutschland werdenden evangelischen Kirche.
Nun wird ein Kirchenleitender wieder praktischer Seelsorger. Demnächst absolviert er die Fortbildung in Klinischer Seelsorge. An Krankenhausbetten wird es um existenzielle Fragen leidender und oft eher kirchenferner Menschen gehen, im Gespräch mit Menschen mit geistigen Behinderungen wird er Theologie in ganz einfache Sprache übersetzen müssen. Eine Herausforderung auf die sich Pfarrer Matthias Schmidt freut.
Propst Schmidt, wird am Sonntag, 30. Oktober, um 15 Uhr in der Marienstiftskirche in Lich (Kirchgasse 21) in einem Gottesdienst von seinem Dienst verabschiedet. Die Feier gestaltet unter anderem die Stellvertretende Kirchenpräsidentin der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), Ulrike Scherf. Zu einem Grußwort wird auch der Gießener Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher erwartet. Schmidts regulärer Dienst als Propst hätte bis 2027 gedauert. Der 2010 ins Amt gewählte Theologe ist inzwischen der dienstälteste Propst der EKHN. Die Propstei Oberhessen mit Dienstsitz in Gießen ist für rund 300.000 Evangelische in den Landkreisen Gießen, Vogelsberg und Wetterau zuständig.
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