Dekanat Gießen

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          Gefängnisseelsorge

          Pfarrer in einer abgeschlossenen Welt

          HartmannDer Gießener Gefängnispfarrer Johannes Blum-Seebach (l.) im Gespräch mit einem Vollzugsbeamten.

          Auf einmal ist der Himmel weg. Für Monate oder Jahre. Nur noch eine Stunde täglich Sonne, Wolken, Regen. Beim Hofgang in der Justizvollzugsanstalt Gießen. „Es kann sich keiner vorstellen, bevor er nicht einmal inhaftiert worden ist“, sagt ein Strafgefangener. „In den ersten 14 Hafttagen ist die Zahl der Suizide am höchsten“, weiß Gefängnisseelsorger Johannes Blum-Seebach.

          Eingeschlossen zu sein, Entzug von Freiheit bedeutet, nicht kommunizieren zu können mit den Kindern, der Frau, den Eltern. Man kann vieles nicht mehr selbst regeln. Nur noch eingeschränkt über sich bestimmen. Gefängnis ist die stärkste Sanktion des Staates gegen Menschen, die Gesetze gebrochen haben, sagt der evangelische Pfarrer. 

          Nicht jeder übersteht den Gefängnisaufenthalt unbeschadet

          Vom ersten Tag an muss man sich behaupten. Auch körperlich. Nur alte Männer werden in Ruhe gelassen. Sie stehen außerhalb der Hackordnung im Gefängnis. „Es gibt Häftlinge, die die Zeit körperlich und seelisch nicht unbeschadet überstehen“, weiß Blum-Seebach nach sieben Jahren Dienst.
          Dabei ist Gießen im Vergleich etwa zur JVA Butzbach kein harter Knast. Weggeschlossen sind hier vor allem Untersuchungshäftlinge oder Gefangene mit relativ kurzer Strafe bis 3 Jahren. „In Butzbach oder Schwalmstadt musst du spätestens am dritten Tag fighten, um respektiert zu werden und nicht das Gesicht zu verlieren“, berichtet ein Gefangener aus eigener Erfahrung. 

          "Ich erfahre hier Respekt"

          Respekt genießt auch der Knastseelsorger. Nicht aufgrund seiner körperlichen Konstitution. Blum-Seebach ist kein großer Mann und er spricht leise. Der Pfarrer wird hier respektiert, weil er betet und beisteht, vorbehaltlos zuhört und schweigt über das, was ihm die Gefangenen anvertrauen. „Der Pfarrer ist ein Ruhepol, er ist sanftmütig“, beschreibt ein Häftling ihn.  Manches wird ihm unter Tränen erzählt. Und nichts davon geht ihm gegenüber Dritten über die Lippen. Die seelsorgerliche Schweigepflicht gilt absolut, auch und gerade hinter Gittern. Die Häftlinge können sicher sein, dass ihre offenen Worte keinen Einfluss auf den Vollzugsplan haben, von dem auch die Haftdauer abhängt.  „Ich erfahre den Respekt als Vertreter der Kirche und des Glaubens. Vor allem weil ich nicht Teil des Strafvollzugs bin, auch wenn ich im System arbeite“, so Blum-Seebach.  

          Dialog mit Muslimen

          Zu ihm kommen evangelische, katholische, orthodoxe Christen. Eigentlich alle, die Hilfe suchen. Manchmal sogar Muslime. Mittlerweile kommt einmal wöchentlich aber auch ein Imam ins Gefängnis. Blum-Seebach stellt ihm für vertrauliche Gespräche sein Büro zur Verfügung. Sie haben schon miteinander zu christlich-muslimischen Gebeten eingeladen. “In einer mitunter konfliktreichen Situation im Gefängnis wollten wir zeigen, dass wir Dialog wollen und unsere Religionen nicht auf Abgrenzung voneinander basieren.” 

          Rund 300 Gefängnispfarrer in Deutschland

          Wenn er morgens die Gefängnispforte passiert hat, öffnet er sein Schließfach, um seinen Schlüssel und Notruf herauszuholen, dann  nimmt er seine Post entgegen. Gefangene können ohne Angabe von Gründen, aber schriftlich, um ein Gespräch mit dem Seelsorger bitten. Will ein Neuzugang Kontakt, informiert er sich über den Häftling. Der Gesetzgeber räumt der Kirche große Freiheiten ein. Etwa 300 Pfarrerinnen und Pfarrer arbeiten in deutschen Justizvollzugsanstalten. Jederzeit ist es Pfarrern möglich, Gefangene zu besuchen und sie in ihrer Religionsausübung zu unterstützen. Sogar in die Häftlingsakten darf der Pfarrer schauen, wenn es sein seelsorgerlicher Auftrag gebietet. Blum-Seebach holt die Gefangenen selbst zum Gespräch aus der Zelle. Sein Schlüssel passt zu jedem Haftraum und den vielen Türen, die die einzelnen Abteilungen verschließen. 

          Der Pfarrer holt seinen Chor persönlich aus den Zellen

          Blum-Seebach passt seine Anwesenheit und den Zeitpunkt der Gespräche im Gefängnis dem Tagesablauf der Anstalt an. Um 10 Uhr beispielsweise würde ein Gespräch dem Häftling den täglichen, einstündigen Hofgang nehmen. Auch der gut besuchte Sonntagsgottesdienst beginnt bereits um 8 Uhr vor dem Hofgang. Eine Kapelle steht in Gießen nicht zur Verfügung, stattdessen wird ein Mehrzweckraum umgebaut. Wo Häftlinge wochentags an Tischtennisplatten oder Hantelbänken trainieren, stehen am Sonntag ein Altar und Stühle. Musik machen die Gefangenen selber. Musiker und gute Sänger finden sich immer. Der Pfarrer holt seine Chormitglieder um 7.30 Uhr persönlich ab. Vor dem Gottesdienst werden die Lieder, die sie am Freitagnachmittag bereits geübt haben, noch einmal angespielt. 

          Brücken schlagen aus der abgeschlossenen Welt

          Seelsorger begegnen im Gefängnis Menschen, mit denen andere nichts zu tun haben wollen. Wenn Pfarrer in den Gefängnissen arbeiten, dann verharmlosen sie die Schwere menschlicher Schuld nicht, charakterisiert die Evangelische Kirche in Deutschland die Gefängnisseelsorge. Aber sie sind dem Gedanken verpflichtet, dass auch Straftäter Menschenwürde verdienen, selbst dann, wenn sie die Würde und das Recht auf Unversehrtheit anderer Menschen verletzt haben. Letztlich geht es darum, Menschen dabei zu helfen, sich ihrer Schuld zu stellen und einen neuen Anfang zu versuchen. Die Evangelische Kirche sieht die Aufgabe der Gefängnisseelsorger darin, Brücken zu schlagen aus der abgeschlossenen Welt. 

          Bilder für die Kinder

          In einem Gottesdienst predigt Blum-Seebach über den Bettler, der von den Aposteln Petrus und Johannes Geld erbittet. Doch statt einer Münze hält Petrus dem Mann die Hand hin, hilft ihm beim Aufstehen. Er gibt ihm Würde zurück. Natürlich hat der Pfarrer für die Gefangenen in Ausnahmefällen Kaffee oder Zigarettenpapier oder stellt sein Telefon zur Verfügung, wenn ein Häftling dringend Kontakt zu Angehörigen herstellen muss. Er gibt ihnen auch – wenn sie dies erbitten – Bibeln. Und Buntstifte und Papier. Häftlinge malen für ihre Kinder Bilder und bauen auf diese Weise eine Brücke zu ihnen. Beim Malen reflektieren sie oft unbewusst ihr Leben, das manche im Blick zurück als verpfuscht betrachten. So wird wieder ein Stückchen Himmel frei, der von der eigenen Tat, verschlossenen Türen und vergitterten Fenstern verdeckt ist.

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