Dekanat Gießen

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          Pfarrerin Jutta Becher

          "Gott spüren in einem Croissant"

          HartmannJutta Becher, bis August 2026 Pfarrerin der Studierendengemeinde Gießen

          Jungen Menschen Heimat geben, sie stärken, Begegnung ermöglichen: Das war Jutta Bechers Credo in ihrer Zeit als Studierendenpfarrerin und Geschäftsführerin der Evangelischen Studierendengemeinde Gießen. Neun Jahre lang hat sie in der Henselstraße 7 gewirkt, nun wurde sie am 10. Juli offiziell verabschiedet. Ab September ist sie Pfarrerin der Gesamtkirchengemeinde Gießen Nord. Ein Blick auf das, was ihr wichtig war, was sie mitnimmt aus ihrer ESG-Zeit - und was ihr Sorge bereitet.

          Das Interview führte Annette Spiller (Gießener Allgemeine Zeitung)

          Wann ist Ihr letzter Arbeitstag in der ESG, Frau Becher?

          Am 31. August. Am 1. September fange ich als Pfarrerin mit halber Stelle bei der Gesamtkirchengemeinde Gießen Nord an. Meine Berufstätigkeit bestand aus vielen Perlen, die letzte Perle wird nun die Gemeinde - und damit schließt sich für mich ein Kreis.

          Warum?

          Im Januar 2026 bin ich 30 Jahre Pfarrerin. Angefangen habe ich in einer Kirchengemeinde, war dann 15 Jahre Schulpfarrerin in der Liebigschule, ab 2014 beauftragte Pfarrerin der Gießener Landesgartenschau für die Lichtkirche mit vielen Angeboten und 120 Ehrenamtlichen. Anschließend habe ich für die Landeskirche Öffentlichkeitsarbeit für Projekte übernommen, kam 2016 in die ESG als Geschäftsführerin, Seelsorgerin und Beraterin. Und nun, mit 60, habe ich gemerkt, dass ich gerne noch einmal Gottesdienste und Trauungen, Taufen und alle anderen Aufgaben einer regulären Pfarrstelle übernehmen möchte. Offiziell verabschiedet werde ich beim ESG-Sommerfest am 10. Juli, weil danach bald Semesterferien sind.

          Was war Ihnen besonders wichtig an Ihrer Arbeit in der ESG?

          Diese Arbeit lebt von der persönlichen Begegnung. Den Studierenden Heimat auf Zeit zu bieten - das ist hier das Wichtigste. Wir haben es mit jungen Erwachsenen zu tun, die selbstständig werden wollen und in diesen Jahren zwischen 20 und 30 wesentliche Persönlichkeitsmerkmale ausbilden. Es braucht Behutsamkeit damit, es ist nicht ein So-musst-du-es-machen, sondern eine Ermutigung zum trial and error, es darf auch mal was schiefgehen. Der Leistungsdruck im Studium, die Erwartungen sind oft hoch. Das Leben besteht immer aus Herausforderungen, die sich aber mit Unterstützung von anderen Menschen oft auch bewältigen lassen. Das zu erleben fand ich immer das Tollste. Manches endet aber auch ohne Erfolg. Auch das wollen wir begleiten. Ich habe mal eine Promotionsbeerdigung gemacht, als ein junger Mann abbrechen musste, sein großes Projekt starb. Es wurden zehn Seiten der Arbeit ausgedruckt, in eine selbstgestaltete Urne gesteckt und im Beisein von Freunden bei einer kleinen Trauerfeier für die Promotion im Garten der ESG beerdigt. Das Leben ist weitergegangen - und heute hat der junge Mann einen tollen Job beim Deutschen Akademischen Austauschdienst und ist, glaube ich, sehr bei sich selbst angekommen. Noch heute kommt er zu den Alumni-Treffen.

          Was nehmen Sie mit?

          Studierende sind sehr gute Lehrmeister. Ich hatte mal eine Studentin, die sagte zu mir: Muss ich dir eigentlich alles erklären?« Instagram etc., Sie wissen schon. Ich nehme viel Inspiration mit. Erfahre, was so gerade up to date in der Gesellschaft ist. Dieses behutsame Umgehen miteinander und diese Aufmerksamkeit für die kleinen Dinge hoffe ich, mir bewahren zu können.

          Was läuft in der Studierendengemeinde Gießen?

          Wir haben nach Corona ein wirkliches Tief erlitten. Dieser Ort hier lebt von Begegnung. Das Digitale hat in der Corona-Zeit nicht funktioniert, schon gar nicht für Neuankömmlinge. Nach Corona haben wir mit Vorträgen und anderen Veranstaltungen versucht an das anzuschließen, wie es vorher war - aber das hat gar nicht geklappt. Das ging im Übrigen sehr vielen der 110 anderen Studierendengemeinden in Deutschland auch so. Mit dem ESG-Rat, unserem studentischen Beratungsgremium, haben wir dann einen Cut gemacht und beschlossen, wir legen alles, was hier stattfindet, in studentische Hände - außer dem Morgengebet (lacht). Es gibt studentische Projektleiter, und meine Rolle ist das Backup. Ich stehe für Fragen zur Verfügung, kläre die Finanzen, helfe bei der Organisation. Ein höchst erfolgreiches Chorprojekt ist entstanden, läuft seit vier Semestern. Aus anfangs 15 Teilnehmenden sind 50 geworden. Es gibt einen Lauftreff, mit 15 bis 20 Teilnehmenden. Karina Enzweiler (siehe Kasten) macht drei- bis viermal im Semester einen Kreativworkshop. Ein Theologe und ein Psychologe führen ein Bibelgespräch durch. Das alles läuft sehr gut. Zu Sommerfesten kommen schon mal rund 120 Leute.

          Wo kommt da das Evangelische ins Spiel?

          Ich finde es nicht nötig, den Evangeliumsverkündigungsauftrag direkt in den Vordergrund zu stellen, sondern das ins Leben von jungen Erwachsenen zu übersetzen. Wenn ich nach Chorproben mit den jungen Leuten ins Gespräch komme, sage ich immer, wie sehr sie anderen Menschen Freude schenken. Die jungen Leute können nicht nur Klausuren schreiben und studieren. Der liebe Gott hat uns so gemacht, dass wir mit vielen unterschiedlichen Talenten unser Leben gestalten können. Die Befragungen am Ende des Semesters zeigen erfreulicherweise: Macht bitte so weiter.

          Wie wird es weitergehen mit der ESG?

          Meine Stelle bei der ESG muss drei Monate vakant bleiben, das ist eine Sparmaßnahme. Über das Amtsblatt der EKHN wird sie ausgeschrieben, erneut als volle Stelle mit 20 Prozent Geschäftsführung und 80 Prozent Studierendenpfarrdienst wie bei mir. Ende August ist Bewerbungsschluss, und dann gibt es ein Auswahlgremium, dem auch jemand von der Universität und zwei Studierende angehören.

          Einschnitte wird es also nicht geben, Stichwort Ressourcenverknappung?

          Den Einbruch hatten wir schon, in den vergangenen neun Jahren wurde das Personal um die Hälfte reduziert. Statt zwei gibt es nur noch eine Pfarrstelle, meine Kollegin für internationale Beratung hat nur noch eine halbe Stelle statt einer ganzen. Die Haushaltsmittel sind stark gekürzt. Unsere Rücklagen mussten in den Gesamtkirchenhaushalt überführt werden.

          Wie bewerten Sie das?

          Ich verstehe, dass es weniger Ressourcen gibt. Wenn man aber sagt, man möchte den Schwerpunkt der Kirche auf junge Menschen setzen, und so hatte ich den synodalen Beschluss verstanden, dann braucht es Gastfreundschaft. Wenn wir bei Veranstaltungen nichts zum Essen anbieten könnten oder dafür Geld verlangen müssen, würde keiner kommen. Nach der Morgenandacht gibt es Frühstück. Die Inflation trifft Studierende hart. Wenn Kirche nicht für Gastfreundschaft ohne Bedingung steht, wird’s schwierig.

          Was wünschen Sie der ESG für die Zukunft?

          Dass Menschen die ESG weiter mit Freude und Lust besuchen können, dass sie mitnehmen können, was sie gerade für sich brauchen und Gottes Gegenwart dort spüren können - vielleicht in einem Croissant, das man isst. Oder in einem Gespräch, das man führt. In einer Gebetskerze, die man anzündet. Bei Veranstaltungen, Festen, Gemeinschaftsaktivitäten und Mitmachprojekten. Beim Austausch auf der Dachterrasse. Wenn jemand hier in der ESG erfahren kann, dass es einen Effekt hat, wenn er sich engagiert, und dass man als Person etwas bewirken kann, dann ist viel erreicht. Zusammenhalt kommt nicht von selbst. Deshalb sind solche Begegnungsorte so wichtig.

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