Ideenmesse in Gießen
Fromme Fritten und eine Kirche nur für junge Leute
Peter BongardDie Vorsitzende des EKD-Kirchenparlaments Anna-Nicole Heinrich (3.v.r.) und Kirchenpräsident Volker Jung im Gespräch mit Jugendlichen von der Jungen Kirche Gießen17.09.2023 mhart Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Peter BongardAnna-Naemi Düver (3.v.l.) und Laura Leonhardt (4.v.l.) auf der großen Bühne im Gespräch mit Kirchenpräsident Volker JungÜber 1000 Menschen aus ganz Hessen-Nassau besuchten diese „Ideenmesse“. „#NextGeneration“ lautete das Motto dieses kleinen Kirchentags in den Gießener Messehallen. Es ging um die Zukunft der Kirche, mit einem von lebendiger Gospel-Musik geprägten Gottesdienst, mit Gesprächsforen, vor allem aber der eigentlichen Ideenmesse.
Ein besonderer Gast war Anna-Nicole Heinrich, die erst 27-jährige Vorsitzende des Kirchenparlaments der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Sie sprach sich im Eröffnungsgottesdienst dafür aus, Jung und Alt in der Kirche nicht gegeneinander auszuspielen und einen Generationen-Konflikt zu inszenieren. Die nächste Generation in der Kirche seien diejenigen, die alte Strukturen hinter sich lassen und die Kirche verändern wollen, das hänge nicht vom Alter ab.
Kaffee-Bike, Mauersegler und Fromme Fritten
In der eigentlichen Ideenmesse wurde an mehr als 80 Ständen gezeigt, was es in der evangelischen Kirche an Bewährtem, vor allem aber Innovationen und neuen Ideen gibt. „Magdacino“ nennt sich das Kaffee-Bike einer Kirchengemeinde aus Mainz, eine großzügige Coffee-Bar, die auf ein elektrisches Lastenbike montiert ist. Damit fahren Mitarbeiterinnen der Gemeinde auf Spielplätze und öffentliche Plätze, erzählt die Kirchenvorsteherin Gwendolyn Schwarz. „Wir wollen nicht warten, bis die Menschen zu uns kommen, sondern zu den Menschen gehen, um ins Gespräch zu kommen über Gott und die Welt, und um auf das zu hören, was Menschen über Kirche denken und von ihr erwarten.“
In Hattersheim probierte ein Jung-Theologe etwas Ähnliches aus. „Fromme Fritten“, nennt Vikar Philipp Raekow, ein gelernter Gastronom, sein Projekt. Mit einem umgebauten Hähnchengrill fuhr er in eine Siedlung, die dafür bekannt ist, dass dort wenig Kirchenmitglieder leben. Bei Pommes, Kaffee und Kuchen kam er über die Theke hinweg oder an Stehtischen mit Menschen ins Gespräch, die schon sehr lange keinen Kontakt mehr zur Kirche hatten. Eine Andacht wurde auch gefeiert und abends brachten sogar muslimische Anwohner Essen zum „Fromme-Fritten“-Imbißwagen.
Nicht weit von dem Foodtruck entfernt sind Vogelrufe zu hören. Vor fünf Jahren hat Gießener Petrusgemeinde in ihrem über 40 Meter hohen Kirchturm im Wartweg zwanzig Nistplätze für Mauersegler eingerichtet. Bald sollen es noch mehr geben. Derzeit nisten fünf bis sechs Pärchen hinter den kleinen viereckigen Fenstern des Turms, erzählt Initiator Volker Klingmöller, der die Vögel auch mit einer Kamera beobachtet hat und davon Videos zeigt. Sogar für Wanderfalken sind Nistkästen vorbereitet, aber „man braucht Geduld, es kann zehn Jahre dauern, bis einer kommt“, weiß Klingmöller.
Aus Gießen und dem Umland stellten sich außerdem die Kirchengemeinde Großen-Linden, mit ihrer Vielfalt ungewöhnlicher Gottesdienste vor; die Kirchengemeinde Watzenborn-Steinberg, die während der kalten Wintermonate zum gemeinschaftlichen Suppe-Essen einlud, die Werkstattkirche aus der Nordstadt und die Junge Kirche Gießen, die als JuKi bereits ein Markenzeichen für neue Jugendarbeit der evangelischen Kirche geworden ist.
Junge Menschen im Fokus
Auf der großen Bühne kamen vor allem junge Menschen zu Wort, etwa Vertreterinnen und Vertreter der Jungen Kirche Gießen. Laura Leonhardt, die das Café dort leitet, erzählte, dass es einladende Räume braucht; gemütlich, hell und einladend, mit weichen Sesseln, in denen man sich wie zuhause fühlt statt harter Kirchenbänke. Sie selbst bei den ersten Besuchen von Gottesdiensten und Veranstaltungen so angesprochen gewesen, dass sie schnell ganz dazu gehören wollte. „Ich habe nur darauf gewartet, gefragt zu werden, ob ich mich engagieren will.“ Anna-Naemi Düver erzählt, ihr sei es wichtig, dass ihr in der JuKi „Mut gemacht worden sei“. Sonntags, so berichten sie, kommen 50 Leute zum Brunch-Gottesdienst, feiern, essen, hören Musik, in den traditionellen Gottesdiensten in den Ortsgemeinden fühlen sie sich nicht so wohl.
Kirchenpräsident: Aufmerksam für die Gesellschaft sein
Gast der Ideenmesse war auch der Kirchenpräsident der EKHN, Volker Jung. Er zeigt sich bei der Abschlussveranstaltung begeistert von dem Ideenreichtum, der Energie, dem Sachverstand und dem Willen zu Veränderungen in den Gemeinden und Einrichtungen. Die EKHN muss in den nächsten Jahren ihre Strukturen grundsätzlich verändern, weil die Mitgliederzahlen sinken. Zugleich appellierte der Kirchenpräsident an die Gemeindemitglieder, den Blick der Kirche angesichts eigener Probleme wieder stärker nach außen in die Gesellschaft zu richten. Die Kirche dürfe nicht verpassen, populistischem Gedankengut zu widersprechen, wenn es der christlichen Botschaft widerspricht. „Seid aufmerksam und wachsam und tretet denen entgegen, die Menschen verunglimpfen und diskriminieren!“
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