Ukraine-Krieg
Energiekrise wird auch in den Kirchen spürbar werden
Immanuel MalcharzykBleiben Kirchen in der Energiekrise dunkel und kalt?13.10.2022 mhart Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Die Energiekrise bedeutet auch für die Evangelische Kirche in den kommenden Monaten den Ausnahmezustand. Denn der Energieverbrauch in Kirchengemeinden und Verwaltungseinrichtungen wird stark gedrosselt. Büros und Gruppenräume in Gemeindehäusern werden nur noch auf 18, höchstens 19 Grad erwärmt, Vorräume und Treppenhäuser werden nicht mehr beheizt und die Außenbeleuchtung wird auch in der dunklen Jahreszeit abgestellt. Durchlauferhitzer werden ausgestellt, sofern das Wasser überwiegend zum Händewaschen verwendet wird. In den kirchlichen Kindertagesstätten darf das Thermometer nicht über 20 Grad steigen, lediglich Wickelräume können auf 24 Grad geheizt werden.
Energieeinsparverordnung gilt auch für die Kirchen
Damit folgen die Gemeinden und kirchlichen Einrichtungen der staatlichen „Energieeinsparverordnung“, die auch für kirchliche Gebäude verbindliche Maßnahmen vorgibt. Die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) hat das bereits im September in Empfehlungen für die Gemeinden umgesetzt, so Heinz Thomas Striegler, Leiter der Kirchenverwaltung in Darmstadt. „1 Grad weniger Grundtemperatur bringt 10-15% Einsparung im Wärmeverbrauch“, schrieb Striegler an die Gemeinden
Droht der Kirche nach der zweijährigen Corona-Zwangspause nun über Weihnachten die Kältestarre und ein neuer Einbruch beim Gottesdienstbesuch und die Aussetzung von Gemeindeveranstaltungen? Der Gießener Dekan André Witte-Karp weiß, dass sich die Leitungen aller Kirchengemeinden in und um Gießen „mit den Informationen, Empfehlungen und Lösungsvorschlägen auseinandergesetzt und konkrete Maßnahmen ergriffen haben“.
Gemeinden schließen sich zu "Winterkirchen" zusammen
Einige benachbarte Kirchengemeinden werden im Verbund gemeinsame Gottesdienste, als sogenannte „Winterkirche“ feiern, so dass gegebenenfalls nur in einer Kirche geheizt werden muss. Zwischen den Gemeinden im Osten, in Andreas, Luther und Wichern, aber auch in Mitte, in Petrus, Lukas, Pankratius, sowie in der Gesamtkirchengemeinde Gießen Nord mit den Predigtstätten in Thomas, Paulus und Wieseck ist das vorgesehen. Nachgedacht wird auch darüber, von Januar bis März im Gemeindesaal zu feiern.
Notfallpläne bei der Raumbelegung sollen dafür sorgen, dass Gruppentreffen auf einen oder zwei kleinere Räume konzentriert werden und die restlichen Räume kalt bleiben. Die Gesamtkirchengemeinde Gießen Nord hat ein präzises Energiekonzept erstellt, das sogar beinhaltet, kurzfristig Decken anzuschaffen, berichtet Pfarrerin Iris Hartings. Decken werden auch in der Kirche in Kleinlinden vorgehalten, so Pfarrer Ekkehard Landig, denn die Kirche wird bis Silvester auf höchstens 15 Grad erwärmt. Danach wird im Gemeindehaus Gottesdienst gefeiert. Die Stephanusgemeinde in der Weststadt hat nach Auskunft von Pfarrer Adrian Schleifenbaum ihr Jugendhaus geschlossen und dort bereits Heizung und Strom abgestellt; alle Veranstaltungen finden im Gemeindehaus statt. Die Petruskirche und das angrenzende Gemeindehaus im Wartweg werden auf nur 18 Grad beheizt.
Alle Gemeinden in und Gießen berichten von der Erarbeitung von Energiekonzepten, die die Anschaffung von Thermometern zur Kontrolle oder die Installation moderner Thermostate und besonders sparsamer Leuchtmittel oder den Austausch von Bewegungsmeldern für die automatische Beleuchtung vorsehen.
Kirche im Zwiespalt
„Die Gemeinden sind sich ihrer Verantwortung bewusst“, unterstreicht Dekan Witte-Karp. Zugleich erfährt er in den Gesprächen mit Pfarrer:innen und Kirchenvorständen aber auch, in welchem Zwiespalt die Verantwortlichen stecken. „Selbstverständlich fühlen sich alle mit der Ukraine solidarisch und sind bereit, angesichts des russischen Kriegs gegen das Land, ihren Beitrag zur Energieversorgungssicherheit über das bisherige Maß an Umweltverantwortung hinaus zu leisten.“ Abgesehen davon ist für Kirchengemeinden noch nicht kalkulierbar, wie stark die Heizkosten steigen werden und ob dafür Angebote möglicherweise eingeschränkt werden müssen.
Kirche muss einladender "Wärmeort" sein
Doch das kirchliche Leben und die Gemeinschaft in Gottesdiensten und Veranstaltungen werden von ihrem einladenden Charakter geprägt. Pfarrer und Pfarrerinnen sorgen sich darum, weiß Witte-Karp, dass insbesondere Ältere, aber auch junge Menschen wie schon im Corona-Winter 20/21 nicht mehr kommen. „Dass es in alten und großen Kirchengebäuden schon immer etwas kühler war, weiß jede und jeder. Und doch braucht die gemeinschaftliche Atmosphäre gerade in dieser krisenhaften Zeit im wahrsten Sinne des Wortes Wärme.“
Initiativen der Jungen Kirche und der Studierendengemeinde
Deswegen freut sich der Dekan über die Initiativen der Jungen Kirche Gießen und der Evangelischen Studierendengemeinde (ESG). Stadtjugendpfarrer Alexander Klein und die ESG-Pfarrerin Jutta Becher wollen angesichts kalter Räume in der Uni und den WGs und Wohnungen bewusst „warme Orte“ anbieten.
In der ESG finden Studierende im Wintersemester 2022/23 zum individuellen Arbeiten und Lernen einen warmen Ort vor. Jeden Freitag, wenn die Uni Gießen ihren Regelbetrieb aussetzen wird, sind in der ESG die Räume von 8 bis 18 Uhr geöffnet und warm. Kostenfreies WLAN steht zur Verfügung. „Tee und Kaffee sind vorbereitet, es gibt 25 Arbeitsplätze und Eine Anmeldung ist nicht notwendig“, sagt Pfarrerin Becher. Von Montag bis Donnerstag können ebenfalls zwei geheizte Lernräume mit insgesamt 7 Arbeitsplätzen genutzt werden. Dafür bittet sie um eine kurze Anmeldung unter 0170 4537515. Die ESG Gießen befindet sich in der Henselstraße 7 in Gießen.
Die Junge Kirche Gießen in der Löberstraße soll als „exemplarischer Ort“ für junge Menschen einladend bleiben und nicht kalt werden. Alexander Klein spricht von einem „Hoffnungsort“, denn junge Menschen haben während der Coronazeit besondere Einschränkungen an Schulen und Unis und biographische Verluste erlebt, weil sie sich nicht mit anderen treffen konnten. Klein und Becher weisen aber darauf hin, dass sie alle technisch möglichen Veränderungen vornehmen, um Heizkosten zu sparen und ihr Energiemanagement optimieren. Und nicht zuletzt werde die Besucher:innen für das Energie sparen sensibilisiert.
Pflegebedürftige Menschen dürfen nicht im Kalten sitzen
Dass auch älteren Menschen in den kirchlichen Einrichtungen nicht so einfach die Wärme entzogen werden kann, wird am Beispiel der Evangelischen Tagesstätte für ältere Behinderte in der Südanlage deutlich. Die Leiterin, Kornelia Marschner, betont, dass sie die Raumtemperatur nicht reduzieren wird. Sie betreut Senioren, die anderswo als "Menschen in Pflegeeinrichtungen" geführt werden. „Ich könnte meine Senioren niemals 8 Stunden bei 19 Grad in unserer Einrichtung setzen, ohne sie gesundheitlich zu gefährden“, so Marschner.
Werden Kirchen in der Krise zu Wärmeorten?
Noch ist nicht absehbar, wie sehr sich die Energiekrise im Winter zuspitzen wird. Vielleicht werden Menschen auf die Beheizung ihrer Wohnung verzichten müssen, weil sie fürchten, die Heizkosten nicht bezahlen zu können oder sogar Strom und Gas abgestellt werden. Dekan André Witte-Karp denkt dabei an ein gemeinsames Vorgehen von Diakonie und Evangelischem Dekanat. „Es ist zu überlegen, wie in dieser für uns alle völlig neuen Energiekrise kirchliche Räume als Wärmeorte genutzt werden können“.
Diese Seite:Download PDFTeilenDrucken