Dekanat Gießen

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          Neue Gießener Pfarrerin

          "Wir werden die Kirche umbauen müssen"

          HartmannPfarrerin Wiebke Eßbach vor dem Gemeindezentrum der Ev. Andreasgemeinde in Gießen

          Der Berufsstart von Pfarrerin Wiebke Eßbach aus Gießen fällt in die Monate der Corona-Pandemie, aber auch in Umbruch-Zeiten der Evangelischen Kirche deutschlandweit.

          HartmannPfarrerin Wiebke Eßbach

          Wiebke Eßbach (30) ist nicht leicht aus der Ruhe zu bringen. Weder davon, dass sie als Berufsanfängerin ihren neuen Arbeitsplatz wegen der Corona-Pandemie bisher nur in Ausnahmesituationen erlebt hat, noch von der jüngst veröffentlichten Mitgliederentwicklung der Evangelischen Kirche. Wiebke Eßbach ist seit einigen Wochen Pfarrerin der Andreasgemeinde im Gießener Osten.

          Planung nur unter Vorbehalt

          Die neue Pfarrerin zeigt den Kirchenraum im Eichendorffring. Vereinzelt stehen dort Stühle statt langer Stuhlreihen. Maximal 42 Besucher dürfen derzeit die Gottesdienste besuchen. Angesichts der Corona-Pandemie nur mit Maske, viel Abstand und ohne Gesang. „Ich habe den Alltag noch gar nicht kennengelernt“, erklärt sie nüchtern. Im Moment feiert man die Gottesdienste vor der Tür, unter freiem Himmel. „Vielleicht“ kehrt im Oktober oder November der Alltag wieder zurück.
          „Doch alles, was ich jetzt plane, ist unter Vorbehalt.“ Arbeit mit Kindern scheint kaum möglich zu sein, weil sie nicht wirklich Abstand halten könnten. Die Jugendlichen aus der Gemeinde hätten sich draußen getroffen. Oder online. Vorübergehend ist das eine Möglichkeit.

          "Wir durften Patienten am Bett besuchen"

          In der ersten Jahreshälfte hat Wiebke Eßbach noch ein Spezialpraktikum in der Klinikseelsorge absolviert. Der zuletzt erhobene Vorwurf, die Kirche habe sich nicht um Kranke oder Sterbende gekümmert, erweist sich nach ihren Erfahrungen als abwegig. Sie hat im Gießener Uniklinikum gearbeitet. „Während der Besuch von Angehörigen untersagt war, durften wir Klinikseelsorgerinnen Patienten am Bett besuchen und haben das auch getan.“ Mitunter auf Wunsch der Angehörigen. Die Unterstützung durch die Klinik sei hervorragend gewesen. Natürlich habe sie trotz aller Vorsichtsmaßnahmen Sorge gehabt, sie könnte Viren von einer in die andere Station tragen. Andererseits habe sie bei den Patienten erlebt, wie groß „die Not war, keinen Besuch zu haben.“

          "Mit Patienten über den Tod reden"

          Corona hat bei den Gesprächen am Krankenbett nicht im Mittelpunkt gestanden. Es ging um die Ängste, die im Krankenhaus zutage treten, wenn Menschen die eigene Verletzlichkeit, die Unverfügbarkeit des eigenen Lebens oder die Einsamkeit bewusst werden. „Manchmal habe ich bei Patienten gesessen und mit ihnen deren Not und Klage ausgehalten“, erinnert sich Wiebke Eßbach.
          Während das medizinische und pflegerische Personal um die Heilung und Linderung bemüht ist, darf eine Pfarrerin mit Patienten auch über den Tod reden. „Dafür ist die Seelsorge doch da!“ Natürlich bedeutet die Diagnose Krebs nicht unausweichlich den Tod und doch müssen Menschen darüber reden können, wenn sie der Gedanke an das Sterben bedrängt. Umso beeindruckter war sie, „wenn ein kranker Mensch mich fröhlich empfangen hat.“

          "Wir werden die Kirche umbauen müssen"

          Nun ist sie in der Gießener Andreasgemeinde, in der das Gemeindeleben wegen der Pandemie stark reduziert ist. Gruppen können sich nicht treffen. Die neue Pfarrerin kann sich der Gemeinde nur in ihren Gottesdiensten unter freiem Himmel vorstellen. Um den Kirchenvorstand besser kennenzulernen, hat sie sich von einzelnen Mitgliedern durch das Anneröder Viertel führen lassen und unterhalten.
          Dabei ging es auch um die Entwicklung der Gemeinde, die heute nur noch eine halbe Pfarrstelle hat, weil die Zahl der Mitglieder in den zurückliegenden Jahren, wie überall, gesunken ist. Vor kurzem haben evangelische wie katholische Kirche erneut rückläufige Zahlen gemeldet. Die junge Pfarrerin lässt sich von diesem Trend nicht erschrecken. „Dass die Kirche nicht überlebt, davor habe ich keine Angst.“ Allerdings wird man sie umbauen müssen.

          Kooperationsraum im Gießener Osten

          Seit dem Wirtschaftswachstum der Nachkriegszeit und dem Babyboom der sechziger Jahre sind in Deutschland sehr viele neue Pfarrstellen und kirchliche Bauten errichtet worden, die nun, so die junge Pfarrerin, wieder abgebaut werden müssen. Das sieht sie aber nicht als bedrohlich für die Kirche an.
          Im Gießener Osten haben die drei evangelischen Gemeinden Andreas, Luther und Wichern auf die Entwicklung schon reagiert. Sie bilden jetzt einen Kooperationsraum.
          Für Wiebke Eßbach bedeutet das, sie wird eng mit ebenfalls jungen Kollegen, Pfarrerin Sonja Löytynoja und Pfarrer Johannes Lohscheidt, zusammenarbeiten. „Das ist eine tolle Chance und ich werde keine Einzelkämpferin sein müssen.“ Die Zusammenarbeit ermöglicht ihr viel Gestaltungsspielraum. Vereinbart ist, dass eine von ihnen häufiger sonntags nacheinander in zwei Kirchen predigt und der oder die andere frei hat. So gewinnen sie Zeit für andere Schwerpunkte in der Seelsorge und der Gemeindearbeit.

          Ökumenisch aufgewachsen

          Dabei feiert sie gerne Gottesdienst. Schon als kleines Mädchen hat sie das Orgelspiel gemocht, wenn sie mit ihrem Vater evangelische Gottesdienste besucht hat. Ihre Mutter ist katholisch. Aufgewachsen ist sie nördlich von Oldenburg. Nach der Konfirmation hat sie sich in der evangelischen Gemeinde engagiert. Das Abitur absolvierte sie auf einer katholischen Schule in Oldenburg. Pfarrerin zu werden, dazu hat sie sich erst während des Theologie- und Archäologie-Studiums in Marburg entschlossen.
          Dass sich die Kirche im 21. Jahrhundert verändern wird, wurde ihr in dieser Zeit schon deutlich. „Für Kinder ist die Präsenz der Kirche und ihrer Angebote vor Ort gut und wichtig. Aber schon Jugendliche sind sehr mobil und auch nur noch bedingt bereit, sich kontinuierlich zu binden und wollen nur noch in begrenzten Projekten mitarbeiten.“

          Mit Familien Lebensabschnitte feiern

          Beobachter sprechen davon, dass das Modell Volkskirche oder zugespitzt „Vereinskirche“, deren Mitglied man durch die Taufe automatisch wird und die an jedem Tag in der Woche im Wohnbezirk oder Dorf etwas für die Mitglieder anbietet, ausläuft. „Wir müssen unsere Vereinskultur in Projektkultur verwandeln“. Natürlich werde es auch weiter regelmäßige Angebote, beispielsweise den Chor, den Bibelkreis, Jungschar oder Seniorennachmittag geben. Aber auch punktuelle Projekte, etwa einen zeitlich limitierten Projekt-Chor, besondere Gottesdienste, Pilgern, Ausstellungen, Konzerte. „Vieles ist denkbar und gibt es teilweise ja auch schon“, so Wiebke Eßbach und fügt hinzu: „Wir werden lebensbegleitend wirken!“ Mit Familien Lebensabschnitte feiern, bei Taufen, bei der Einschulung der Kinder, bei der Konfirmation an der Schwelle zum Erwachsensein.

          Weihnachten im Freien feiern?

          Doch da grätscht in diesem Jahr die Corona-Pandemie den Gemeinden in die Beine. Wie die vom Frühsommer in den September verschobene Konfirmation in ihrer neuen Gemeinde gefeiert wird, ist noch offen. Vielleicht unter freiem Himmel? Vielleicht in kleinen Gruppen im Kirchraum? Das wird nach den Sommerferien entschieden. Und schon bald steht die Frage an, wie das Weihnachtsfest gefeiert werden wird. Vielleicht auch im Freien? Am Hirtenfeuer? Auch von diesen Fragen lässt sich die neue Andreas-Pfarrerin jetzt noch nicht aus der Ruhe des Anfangs bringen.

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