Dekanat Gießen

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          "Wohin?"- Abend am 19. November

          „Begegnungen, die verändern“ - Pfarrvikarin erzählt von Arbeit mit Geflüchteten

          © Ralf-Uwe Beck / fundus.ekhn.deDas Flüchtlingslager Zaatari im Norden Jordaniens.

          Lydia Katzenberger ist Pfarrvikarin in der Ev. Gesamtkirchengemeinde Karben. Parallel zum Theologiestudium hat sie Menschen auf der Flucht in der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung begleitet. Von den Begegnungen erzählt sie am 19. November in der Jungen Kirche Gießen bei einem Chormusik- und Erzählabend zum Thema Flucht und Ankommen und im Interview.

          Frank Wagner

          In welchem Kontext sind Sie Menschen auf der Flucht begegnet?

          Lydia Katzenberger: Neben meinem Theologiestudium habe ich an der „Refugee Law Clinic“ der Justus-Liebig-Universität Gießen eine Ausbildung im praktischen Asyl- und Ausländerrecht gemacht. Dies führte mich in die Beratungsarbeit in der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen. Dort werden die Menschen untergebracht, die in Hessen ihr Asylverfahren durchlaufen.

          Das Evangelische Dekanat Gießen betreibt dort die Asylverfahrensberatung. Kirche ermöglicht hier eine Beratungstätigkeit, die für viele Menschen existentiell wichtig ist: Sprachbarrieren werden überwunden und über die Rechtslage – und damit die individuelle Situation – in Deutschland aufgeklärt. Damit können die asylsuchenden Menschen bestmögliche Entscheidungen treffen, wie sie ihren Weg weiter gestalten.

          Was haben Sie dabei erlebt?

          Katzenberger: Ich bin dort sehr vielen Menschen begegnet, die mich geprägt haben, die mit mir ihre Geschichten geteilt haben. Ich habe dort erlebt, wie dankbar Menschen waren, dass wir sie beraten haben. Wir haben sie auf ihre Rechte in asylrechtlichen Fragen aufmerksam gemacht und sie im Hinblick auf die wichtige Anhörung oder auch ein nachfolgendes Klageverfahren beraten.

          Dabei sind mir immer wieder Menschen begegnet, die mir innerhalb kürzester Zeit so Vieles anvertraut haben: Sie haben mir von ihren Wünschen, ihren Hoffnungen und Ängsten erzählt. Von diesen intensiven Begegnungen fühle ich mich beschenkt und berührt.

          Mit dem „Wohin-Abend“ am 19. November in Gießen machen Sie auf die Themen Flucht und Asyl aufmerksam. Warum sind diese Themen weiterhin aktuell?

          Katzenberger: Die Themen Flucht und Asyl sind und bleiben aktuell – die Unterbringungszahlen in der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung sind im vierstelligen Bereich. Das Thema und die Situation der Menschen dort vor Ort geraten nur leider manchmal in Vergessenheit, weil ich als Mensch mit deutschem Pass und großer Bewegungsfreiheit die Lebenssituation, die Probleme – persönlicher und struktureller Art – eben schnell wieder übersehe.

          Doch das Thema bleibt aktuell, denn Migration und Fluchtbewegungen sind aktuell. Es wird sie weiter geben – die Frage ist und bleibt, wie Deutschland und die EU sich dazu verhalten und wie sie mit ihren eigenen Werten umgehen. Für wen zählen diese Werte – für wen nicht?

          In Griechenland leben Menschen in schrecklichen Bedingungen in Camps – und wir schauen nicht mehr hin? Auf europäischem Boden gibt es Pushbacks – und wir empören uns nicht mal mehr darüber, obwohl es geltendem Recht widerspricht? Seenotrettung wird weiterhin kriminalisiert und Schiffe mit Geflüchteten dürfen nicht auf europäischem Boden anlegen!

          Die Wut über diese Zustände ist groß – und gleichzeitig glauben wir: Es geht auch anders. Wir können auch anders. Das haben wir z.B. in diesem Jahr bei der Aufnahme und Unterbringung ukrainischer Menschen gesehen. Asylpolitik kann auch unbürokratischer und menschlicher zugehen – und sie sollte es auch.

          Samstag, 19. November 2022
          18:00 Uhr
          , Junge Kirche Gießen (Löberstr. 4)
          Chor-Zyklus „Wohin ich immer reise, ich fahr nach Nirgendland“, ein überregionales Vokalensemble singt unter der Leitung von Mareike Hilbrig (Marburg). Die Komponistin Erna Woll hat darin Gedichte der jüdischen Dichterin Mascha Kaléko über Flucht und Heimatverlust vertont. Dieses Werk und weitere Chormusik treten mit persönlichen Texten in einen Dialog, in denen Menschen aus verschiedenen Perspektiven ihre Begegnungen zwischen Menschen auf der Flucht und Menschen ohne Fluchterfahrung beschreiben. Der Eintritt ist frei.

          Die Projektidee ist bereits drei Jahre alt – wie hat sich das Projekt seitdem weiterentwickelt?

          Katzenberger: Die Projektidee ist bereits vor drei Jahren entstanden, als ich in der Erstaufnahmeeinrichtung arbeitete. Friederike Monninger war zu dieser Zeit als Medizinerin auf Samos in Griechenland aktiv. Wir wollten von unseren Begegnungen erzählen und davon, wie sie uns prägten. Dadurch entstand die Idee des „Wohin-Abends“ im Austausch mit den musikalischen Elementen. Ein Vokalensemble um Mareike Hilbrig gründete sich, um die Abende mit zu gestalten.

          In den vergangenen Jahren hat sich die Situation verändert – gerade auch durch den Angriffskrieg auf die Ukraine und die dadurch ausgelöste Flucht vieler Menschen. Hierzulande haben Menschen wieder mehr Kontakt mit Geflüchteten und es gab eine große Welle der Solidarität.

          Die Frage, warum Menschen in Deutschland solch unterschiedliche Erfahrungen mit dem Thema Flucht und Asyl machen, beschäftigt uns weiter. Die EU und ihre rigide Politik an den Außengrenzen erschrecken uns. Wir wissen, dass wir als Menschen mit deutschem Pass ohne Fluchterfahrung hier vieles nicht aussprechen können, viele Erfahrungen eben nicht teilen können. Dennoch geht die Situation fliehender Menschen in Europa uns alle an – und gerade deshalb sehen wir Schweigen nicht als Option. Wir wollen erzählen, von Begegnungen, wie sie uns bereichern, berühren und verändern. Von Begegnungen, die Hoffnung machen, allen politischen Widrigkeiten zum Trotz.

          Neben Erzählungen wird es am 19. November auch Musik geben. Wie gehören die Erzählungen und die musikalischen Teile des Abends zusammen?

          Katzenberger: Die musikalischen Teile des Abends stammen von Erna Woll, die Gedichte von Mascha Kaléko vertont hat. Diese war zeitlebens Geflüchtete – schon damals war das Thema so aktuell wie heute. Die vertonten Texte stellen die gleichen Fragen, die uns auch heute bewegen. Dabei entsteht ein Raum zum Nachdenken und Nachspüren. Ein Raum, der Fragen aufgreift und in all dem nach Momenten der Hoffnung sucht.

          Wie sehen Sie die Rolle von Kirche in der aktuellen Situation?

          Katzenberger: Ich finde es wichtig, dass Kirche genau an solchen Orten wie der Erstaufnahme in Gießen präsent ist. Oder während des Flughafenverfahrens am Frankfurter Flughafen oder in der Abschiebehaft. Wo wir als Gesellschaft schnell vorbeischauen, wo sich etwas am „Rand“ der Gesellschaft abspielt – genau da sollte Kirche präsent sein. So wie sich Jesus Menschen am Rand der Gesellschaft zugewendet hat, so sollten wir als Kirche genau da hinschauen und bezeugen, was passiert. Den Finger in die Wunde legen und kritisieren – und gleichermaßen auch Freude teilen.

          Ich habe in meinem Leben selten solch intensive Bekenntnisse zu Gott gehört, wie während meiner Arbeit in der Beratungsstelle. Ich bin beeindruckt von dem Mut und der Kraft, die viele Menschen auf der Flucht aufbringen. Davon lerne ich viel und das bestärkt mich.

          Die Fragen stellte Anna-Luisa Hortien, Öffentlichkeitsarbeit im Dekanat Wetterau

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