Dekan Becher zum Jahreswechsel
Antwort des Himmels
M. HartmannDekan Frank-Tilo Becher05.01.2015 mhart Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Wort zum Sonntag
Antwort des Himmels
Was wird das neue Jahr bringen? Ich glaube, viele wird das Phänomen hinter PEGIDA beschäftigen. „Zu viele Flüchtlinge, zu viel Islam“ – Menschen gehen demonstrieren, weil sie ihr Land und sich selbst wieder sortieren wollen. Sie sind verwirrt in einer verwirrend mehrdeutigen Welt. Und deshalb wird aussortiert, wer nicht so ist wie man selbst. Die Definition dafür braucht einfache Formeln. So trifft es die immer gleichen Zielgruppen.
Uns die Welt sortieren - der Blick zurück kann zeigen, wie wir das alle versuchen. Wir teilen auf, wer zu uns gehört und wer auf die andere Seite. So argumentieren Parteien, so motivieren sich Bürgerinitiativen und so debattieren wir im Freundeskreis – wo wir gerne mit Gleichgesinnten zusammen sind, um uns den eigenen Lebensentwurf bestätigen zu lassen. Dass nun aber diejenigen abgewiesen werden sollen, die eine abendländisch geordnete Welt irritieren, das geht, Gott sei Dank, der großen Mehrheit zu weit.
Wie können wir Menschen in offensichtlicher Unterschiedlichkeit beieinander bleiben? Diese Frage stellt mir das vergehende Jahr und die Jahreslosung für 2015 erscheint da wie eine Antwort des Himmels: Nehmt einander an wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob. (Paulus Brief an die Römer, Kapitel 15, Vers 7)
Wie „sich annehmen“ gemeint ist, wird erklärt. Die Erklärung hat es allerdings in sich. Denn sie verbaut uns den Weg zu der Idee, wir Menschen könnten in harmonischer Übereinstimmung zueinander zurück finden. Christus hat Menschen nicht wegen ihrer Taten angenommen, sondern ihnen trotz ihrer Taten als Person vor Gott Geltung verschafft – also auch denen, die uns irritieren. Daraus leitet Paulus ab, dass selbst die zueinander finden können und müssen, die sich getrennt erleben – Juden und Heiden, Starke und Schwache im Glauben, Uneinige in Fragen der Speise-und Feiertagsregeln. Der kleinste Nenner heißt hier: Ertrage einer den andern und vergebt euch untereinander.
So entsteht nicht gleich innige Freundschaft, aber doch mehr als duldende Toleranz oder gar Abweisung. Das Wort „annehmen“ in der Jahreslosung bedeutet: „jemanden in seine Gemeinschaft, bzw. sein Haus gastlich aufnehmen“. Bei Gastfreundschaft denke ich an Höflichkeit, Respekt und miteinander teilen. Das ist Gottes Vorschlag, die Welt zu sortieren. Wir sollen uns von ihm angenommen wissen und uns gegenseitig mindestens als Gäste annehmen. Wo immer das geschieht, wird Gott gelobt. Nun hoffe ich für das kommende Jahr, dass es voll Gotteslob sein wird, wenn wir uns selbst die mit Gastfreundschaft in unser Haus holen, die uns irritieren. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Das wäre doch ein guter Vorsatz für den Jahreswechsel und würde auf der Welt mehr verändern, als wir ahnen.
Pfarrer Frank-Tilo Becher, Dekan des Evangelischen Dekanats Gießen
Gießener Allgemeine, 27. Dezember 2014
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