Als Notkirche aus Trümmern gebaut
70 Jahre Pankratiuskapelle in Gießen
HartmannFestgottesdienst zum 70. Jubiläum der Pankratiuskapelle mit Propst Matthias Schmidt (2.v.l.)21.10.2019 mhart Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Der Propst für Oberhessen, Pfarrer Matthias Schmidt, wies in seiner Predigt am Sonntag, 20. Oktober, darauf hin, dass der Kirchbau die Erinnerung an die Toten des Kriegs, an die Schrecken der Nazizeit und der NS-Verbrechen in sich trage. "Familien waren zerstört. Menschen verschwunden und tot. Manchen blieb von ihrem Besitz nichts mehr. Nur das nackte Leben." Die Steine der Pankratiuskapelle stammten aus der am 6. Dezember 1944 zerbombten Stadtkirche. Doch sei die Kirche aber auch "aus den Trümmerstücken einer christlich-jüdischen Geschichte erbaut worden, die wir nicht vergessen dürfen, die uns heute und für die Zukunft verpflichtet", so Schmidt.
Juden und Christen sind Geschwister
Das Jubiläum sollte Anlass auch für das unverbrüchliche Bekenntnis sein, dass Juden „die älteren Schwestern und Brüder“ der Christen seien. „Ihnen gilt unser tiefer Respekt aufgrund ihres und unseres Glaubens an den einen Gott.“ Alle Christen und die Kirche hätten dafür einzustehen,dass es weiterhin jüdisches Leben in Deutschland geben muss, und dass Jüdinnen und Juden ohne Angst ihre Gottesdienste feiern dürfen, mahnte der Propst im Blick auf den Anschlag auf die Synagoge in Halle.
"Äußere und innere Verwahrlosung" nach dem Krieg
Der Architekt Otto Bartning hatte mit der Gestaltung der Kirche nicht nur eine schnelle Notlösung schaffen wollen, damit Christen sich wieder zum Gottesdienst versammeln können. Es sollte ein Ort der Neuorientierung nach der Nazizeit sein, um der „äußeren und inneren Verwahrlosung“ entgegenzuwirken. Bartnings Traum war es, Räume zu schaffen, die durch ihre „ehrliche Konstruktion“ und schlichte Form dazu beitragen, den geistig-moralischen Mangel „aus der Kraft der Not“ zu überwinden, indem sie die Menschen birgt wie ein Zelt. „Und das obwohl, oder auch weil sie aus Trümmersteinen gebaut sind", so Schmidt.
Pankratiuskapelle: Notkirche und Kunstwerk
Die Kirche wurde 1949 aus den Trümmern der am 6. Dezember 1944 zerbombten Stadtkirche nach Plänen des berühmten Architekten Otto Bartning erbaut. In einer Zeit der materiellen Entbehrung nach dem Krieg wurde die am 2. Oktober 1949 eingeweihte Kapelle als „Notkirche“ bezeichnet. Für Dr. Matthias Ludwig vom Marburger Institut für Kirchenbau zeigten sich in dem Nachkriegsbau drei Aspekte, wie er bei einem Vortrag kürzlich in Gießen erläuterte: So lasse sich in ihr mit etwas Hintergrundwissen ein typischer Sakralbau der Nachkriegszeit sehen, ein Kunstwerk mit philosophischem Anspruch und außerdem eine Mahnung zur Bescheidenheit.
„Mahnung zur Demut“
Konstruiert aus Holzbalken, Trümmersteinen und Stahl seien die 43 in Deutschland errichteten "Notkirchen" von Bartning zugleich als "Zeichen der Not" und "Mahnung zur Demut" gedacht gewesen. "Er wollte einen Aufbruch in der Wüste der Trümmer symbolisieren", erklärte der Experte. Unmittelbar nach Kriegsende konnte der Neustart selbstredend nur bescheiden ausfallen. Der außerhalb kleiner Fachkreise heute fast vergessene Architekt machte aus der Not kurzerhand eine Tugend - und entwickelte so etwas wie eine sakrale Serienproduktion mit Fertigbauteilen.
Die Pankratiuskapelle war Gottesdienstort für zwei Innenstadtgemeinde, die Markus- und die Matthäusgemeinde, die 2004 zur Pankratiusgemeinde fusionierten. Seit langem ist die Kapelle auch ein beliebter Ort für Konzerte und Lesungen. So traten etwa jahrelang im Advent „Die drei Stimmen“ mit ihren Benefizkonzerten für die Behindertenseelsorge vor überfüllten Kirchenbänken auf
Festprogramm
Der Gießener Stadtarchivar Dr. Ludwig Brake hielt am 18. 10., 19.30 Uhr einen Vortrag zur Baugeschichte der Kapelle und der Nachkriegs-Innenstadt. Musikalisch gratulierte das A-Capella-Quartett „Die Schmachtigallen“ mit einem Konzert am Samstagabend.
Wikipedia zur Baugeschichte und Architektur der Pankratiuskapelle
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